Leiharbeitnehmer zählen jetzt bei der Betriebsratsgröße mit
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nach mehrjährigen Auseinandersetzungen haben wir es am 13.03.2013 endlich geschafft. Nein – es geht nicht um die Papstwahl.
Zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen von Electrolux in Rothenburg haben wir beim Bundesarbeitsgericht eine Rechtsprechungsänderung erwirkt. Der alte Grundsatz: „Leiharbeitnehmer wählen aber zählen nicht“ ist gekippt. Unser Kollege Jürgen Markowski hat beim BAG diese Änderung herbeigeführt.
Zum Zeitpunkt der Betriebsratswahl 2010 waren im Werk Rothenburg 879 Arbeitnehmer und zusätzlich 292 regelmäßig beschäftigte Leiharbeitnehmer beschäftigt. Der Wahlvorstand hatte zunächst ein Wahlausschreiben verfasst, das auf die Wahl eines Betriebsrates mit 15 Mitgliedern gerichtet war. Er hatte die regelmäßig beschäftigten Leiharbeitnehmer bewusst zur Gesamtbelegschaft hinzugerechnet, so dass gemäß § 9 BetrVG ein 15-köpfiges Betriebsratsgremium zu wählen war. Durch eine einstweilige Verfügung, die der Arbeitgeber eingeleitet hatte, wurde diese Wahl abgebrochen. Das Arbeitsgericht Nürnberg hielt einen offensichtlichen Verstoß gegen Wahlvorschriften für gegeben und hat daher entschieden, die Wahl müsse abgebrochen werden. Vor diesem Hintergrund war der Wahlvorstand gezwungen, um eine betriebsratslose Zeit zu vermeiden, ein neues Wahlausschreiben auszuhängen und die Wahl eines nur 13-köpfigen Betriebsratsgremiums durchzuführen.
Die streitbaren Kolleginnen und Kollegen, die in den Betriebsrat gewählt worden waren, wollten dies jedoch nicht hinnehmen und haben ihre eigene Wahl angefochten mit dem Argument, die Leiharbeitnehmer hätten bei der Belegschaftsstärke berücksichtigt werden müssen.
Der Weg durch die Instanzen war mühsam. Das Arbeitsgericht Nürnberg und das Landesarbeitsgericht Nürnberg haben selbstverständlich die Wahlanfechtungsanträge abgewiesen, da sie davon ausgingen, dass die Leiharbeitnehmer nicht mitzuzählen seien. Dankenswerterweise hat das Landesarbeitsgericht Nürnberg jedoch die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.
Dies gab uns die Möglichkeit, beim Bundesarbeitsgericht unter dem Aktenzeichen 7 ABR 69/11 nochmals zu argumentieren, dass die bisherige Auffassung des Bundesarbeitsgerichts fehlerhaft und deshalb eine Änderung der Rechtsprechung dringend notwendig sei.
Am 13.03.2013 hat das Bundesarbeitsgericht nun entschieden, dass in der Regel beschäftigte Leiharbeitnehmer bei den Schwellenwerten des
§ 9 BetrVG im Entleiherbetrieb mitzählen. Dies ergibt sich aus Sinn und Zweck der Schwellenwerte des Gesetzes. Das Bundesarbeitsgericht hat damit seine ständige frühere Rechtsprechung aufgegeben und ist insofern der Argumentation der Antragsteller, die von Jürgen Markowski vertreten worden sind, gefolgt. Gerade im Hinblick auf die Zunahme von Leiharbeit ist diese erwirkte Rechtsprechungsänderung für kommende Betriebsratswahlen wegweisend. In einer Vielzahl von Fällen werden nunmehr größere Betriebsratsgremien zu wählen sein.
Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner mündlichen Entscheidungsbegründung jedoch auch darauf hingewiesen, dass künftig jede gesetzliche Vorschrift, die Schwellenwerte enthält, nach ihrem Sinn und Zweck daraufhin überprüft werden muss, ob Leiharbeitnehmer mit zu berücksichtigen sind.
Es sollten daher auch die Freistellungen gemäß § 38 BetrVG nunmehr überprüft werden. Aus unserer Sicht zählen Leiharbeitnehmer nach dem Sinn und Zweck des § 38 BetrVG auch hier bei den Schwellenwerten mit. Gleiches gilt für die Frage, ob ein Wirtschaftausschuss zu errichten ist gemäß § 106 BetrVG. Auch hier zählen unseres Erachtens die Leiharbeitnehmer nach Sinn und Zweck der Vorschrift mit.
Für beide gesetzliche Vorschriften gilt, dass hier nicht abzustellen ist auf den Zeitpunkt der Betriebsratswahl. Sobald zwischen den Betriebsratswahlen die Schwellenwerte überschritten werden, können entweder mehr Freistellungen beansprucht werden oder aber ein Wirtschaftsausschuss gebildet werden.
Es empfiehlt sich daher zu überprüfen, wie viele Leiharbeitnehmer im Betrieb eingesetzt werden, um sodann zu überprüfen ob dem Betriebsratsgremium nicht mehr Freistellungen gemäß § 38 BetrVG zustehen oder ob nicht in Betrieben mit weniger als 100 Arbeitnehmern aber einer entsprechenden Anzahl von Leiharbeitnehmern die Schwelle von 100 Arbeitnehmern überschritten wird, so dass ein Wirtschaftausschuss zu bilden ist.
Alle übrigen gesetzlichen Vorschriften sind ähnlich zu überprüfen.
Die vom Bundesarbeitsgericht aufgeworfenen Grundsätze sind wohl auch übertragbar auf andere Formen des „drittbezogenen Personaleinsatzes“. Auch bei „Scheinwerkverträgen“, die in der Zukunft wohl zunehmen werden, sind diese Grundsätze anzuwenden.
Die Arbeitgeber werden versuchen, zunehmend mit Werkverträgen die aus ihrer Sicht komplizierte Leiharbeit zu vermeiden. Die Betriebsräte sind deshalb auch gefordert zu prüfen, ob es sich um echte Werkverträge handelt oder um Scheinwerkverträge und damit um nichts anderes als verdeckte Leiharbeit.
Unser besonderer Dank gilt den streitbaren Kolleginnen und Kollegen von Electrolux Rothenburg, die dazu beigetragen haben, eine Rechtsprechungsänderung des Bundesarbeitsgerichts herbeizuführen, die wegweisend für eine Verbesserung der Vertretung von Arbeitnehmern in den Betrieben sein wird.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Euer Anwaltsteam
der Kanzlei Manske & Partner
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