LAG Nürnberg, Urteil vom 03.11.2015 - 7 Sa 655/14: Die Regelung in einem Sozialplan, die einen Zuschlag für unterhaltsberechtigte Kinder nur dann vorsieht, wenn diese in die Lohnsteuerkarte eingetragen sind, stellt eine mittelbare Diskriminierung von Frauen dar, wenn diese die Lohnsteuerklasse V haben und deshalb ein Kind bei ihnen steuerlich nicht berücksichtigt werden kann (§ 38b Abs. 2 EStG). Eingeordnet unter Sonstiges.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg hatte in seinem Urteil vom 03.11.2015, 7 Sa 655/14, einen Sozialplan zu bewerten, der einen Abfindungszuschlag für jedes auf der Lohnsteuerkarte vermerkte Kind vorsieht. Dabei handelt es sich um eine häufig verwendete Zuschlagsregelung in Sozialplänen, die Arbeitgeber regelmäßig damit begründen, dass dies die Berechnung der Abfindung vereinfache, weil die Eintragung auf der Lohnsteuerkarte im Unternehmen bekannt ist.
Auf den „Kinderzuschlag“ geklagt hat eine teilzeitbeschäftigte Frau, die die Lohnsteuerklasse V hatte; ihre Kinder waren auf der Lohnsteuerkarte des Ehemanns (Lohnsteuerklasse III) eingetragen. Die Eintragung eines Kinderfreibetrages ist in Lohnsteuerklasse V nicht möglich (§ 38b EStG). Nach dem Wortlaut des Sozialplans stand der Klägerin der Zuschlag damit nicht zu.
Aber: Bei Teilzeitbeschäftigten ist der Anteil von Frauen (nach wie vor) wesentlich höher als von Männern. So arbeiten 69% der berufstätigen Mütter in Teilzeit und nur 5% der berufstätigen Väter. Dies hat zur Folge, dass auch wesentlich mehr Frauen mit der Lohnsteuerklasse V arbeiten als Männer. Das LAG Nürnberg zieht die Einkommensstatistik des Statistischen Bundesamtes heran: Der Frauenanteil in Lohnsteuerklasse V liegt bei 90%, der Anteil der Männer in Lohnsteuerklasse V bei 10%.
Also: Wenn den „Kinderzuschlag“ eines Sozialplans nur Beschäftigte mit einem „Kindereintrag“ auf der Lohnsteuerkarte beanspruchen können, sind von einem Leistungsausschluss mehr Frauen betroffen als Männer. Damit verstößt diese Sozialplanregelung gegen § 7 Abs. 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG).
Diese mittelbare Frauendiskriminierung ist auch nicht – so das LAG Nürnberg – sachlich gerechtfertigt. Natürlich ist es ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers, das Volumen eines Sozialplans berechnen zu können. Dies ist aber – so das LAG Nürnberg – auch ohne die diskriminierende Sozialplanregelung möglich. So kennt der Arbeitgeber die Lohnsteuerklassen der Beschäftigten und könnte durch die Teilnahme am elektronischen Lohnsteuerabzug die Daten elektronisch abfragen.
Die Klägerin kann nun den „Kinderzuschlag“ des betreffenden Sozialplans bei der Abfindung beanspruchen, um die Diskriminierung zu beseitigen.
Das LAG Nürnberg hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Über das Ergebnis werden wir berichten.