LAG Hamm v. 19.09.2017 - 7 TaBV 43/17 Eingeordnet unter Betriebsverfassungsrecht, Sonstiges.
Der Arbeitgeber darf dem Betriebsrat die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter i.S.d. § 80 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz BetrVG nicht anonymisiert (ohne Vor- und Nachname) zur Einsichtnahme bereitstellen.
Kurz vor Geltung der DS-GVO und des BDSG-neu bestätigte das LAG Hamm in seinem Beschluss vom 19.09.2017 – 7 TaBV 43/17, dass dem Einsichtsrecht des Betriebsrats in die Bruttolohnlisten keine datenschutzrechtlichen Belange entgegenstehen. In der Überlassung der Listen liege eine zulässige Datenverarbeitung des Arbeitgebers als „verantwortliche Stelle“, die nach § 32 BDSG alt gerechtfertigt sei, so das LAG. Da der Betriebsrat als Teil der datenverarbeitenden Stelle (Arbeitgeber) betrachtet wird und seine Rechte aus dem BetrVG durch das BDSG alt nicht eingeschränkt werden (vgl. § 32 Abs. 3 BDSG alt), benötigt der Betriebsrat neben § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG keine weitere datenschutzrechtliche Rechtfertigung. Das LAG stützt sich in seiner Argumentation auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 14.01.2014 (1 ABR 54/12) und bestätigt erneut, dass der Betriebsrat unter Verweis auf seine Überwachungsaufgaben auch ohne konkreten Anlass Einsicht in Bruttoentgeltlisten nehmen kann. Es stehe dem Arbeitgeber nicht zu, sich gegenüber dem Betriebsrat auf Grundrechte von Arbeitnehmern zu berufen. Auch das EntgTranspG stehe einem Einsichtsrecht ohne Anonymisierung nicht entgegen, da dieses Gesetz keine Einschränkung von betriebsverfassungsrechtlichen Rechten und Pflichten, sondern deren Erweiterung vorsieht.
Sinn und Zweck des Einsichtsrechts nach § 80 Abs. 2 Nr. 2 2. Halbsatz BetrVG sei die Verschaffung der Kenntnis, die der Betriebsrat über die effektiv gezahlte Vergütung benötigt, um sich ein Urteil darüber bilden zu können, ob ein Zustand innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit existiert oder nur durch eine andere betriebliche Lohngestaltung erreicht werden kann. Die Aufgabe des Betriebsrats ergebe sich aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, wonach der Betriebsrat die Einhaltung der zugunsten Arbeitnehmer geltenden Gesetze und Tarifverträge kontrolliert. Hierzu zähle auch die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einhaltung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes nach § 75 Abs. 1 BetrVG und die Überprüfungsmöglichkeit des Betriebsrats, ob bestimmte Vergütungsmechanismen, die der Arbeitgeber eingeführt hat, zu einem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hinsichtlich betrieblicher Entlohnungsgrundsätze führen.
Ausblick:
Auch unter Berücksichtigung der am 25.08.2018 in Kraft getretenen DS-GVO nebst BDSG neu ist davon auszugehen, dass die Rechtsprechung im Ergebnis unter den oben genannten Argumenten das Einsichtsrecht ohne Anonymisierung auch künftig für erforderlich halten wird.
Nachdem der Gesetzgeber die Rechtsfragen rund um die Datenverarbeitung im Betriebsratsbüro und die Stellung des Betriebsrats im Konzept des Datenschutzrechts nach wie vor nicht ausdrücklich geregelt hat, bleibt es weiterhin bei der allgemeinen Regelung in § 26 Abs. 6 BDSG neu, wonach die Rechte des Betriebsrats unberührt bleiben.
Das Einsichtsrecht des Betriebsrats ist nun auch an den Vorgaben des § 26 Abs. 1 BDSG neu zu messen. Danach ist die Datenverarbeitung nur zulässig, wenn sie auch datenschutzrechtlich erforderlich ist. Hierbei ist eine Interessenabwägung zwischen dem Informationsinteresse des Betriebsrats und dem allgemeinen Persönlichkeitsrechts der betroffenen Arbeitnehmer vorzunehmen. Für eine fortbestehende Erforderlichkeit des Einsichtsrechts spricht auch die Parallele zum Personalvertretungsrecht, wo die Rechtsprechung seit jeher die Einsichtnahme unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf den zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Umfang begrenzt.
Auch wenn die Diskussion um die Stellung des Betriebsrats im Konzept des Datenschutzrechts mangels bisheriger Stellungnahme der datenschutzrechtlichen Aufsichtsbehörden und einschlägiger höchstrichterlicher Rechtsprechung zum neuen Datenschutzrecht nicht abgeschlossen ist, wird es dem Arbeitgeber auch künftig versagt bleiben, das Einsichtsrecht des Betriebsrats auf anonymisierte Bruttolohnlisten zu beschränken. Die Funktion der Bruttoentgeltliste nach § 80 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz kann gerade nicht erfüllt werden, wenn eine Zuordnung der dort enthaltenen Angaben zu einem konkreten Beschäftigten mangels Angabe vom Nachnamen und Vornamen nicht möglich ist.