Die Kündigung eines leitenden Mitarbeiters durch einen katholischen Arbeitgeber wegen einer Wiederheirat kann eine verbotene Diskriminierung darstellen. Das entschied kürzlich der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 11.09.2018. Eingeordnet unter Kündigung, Sonstiges.
Ist privat auch tatsächlich privat? Damit hatte sich der Europäische Gerichtshof in einem Kündigungsrechtsstreit auseinanderzusetzen. Der Kläger, ein katholischer Chefarzt der Abteilung „Innere Medizin“ eines Krankenhauses, das der Aufsicht eines katholischen Erzbischofs unterliegt, klagt gegen eine ihm erteilte Kündigung. Der Kläger war in erster Ehe kirchlich verheiratet und heiratete nach der Scheidung der ersten Ehe seine neue Lebensgefährtin standesamtlich, ohne dass die erste Ehe annulliert gewesen wäre. Als die Klinik davon erfuhr, wurde dem Kläger gekündigt.
Der Arzt setzte sich gegen die Kündigung zur Wehr und machte geltend, dass eine Wiederheirat kein wirksamer Kündigungsgrund sei, auch wenn der Arbeitsvertrag des Klägers auf die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse verweise. In dieser ist vorgesehen, dass die Eingehung einer nach kanonischem Recht ungültigen Ehe durch einen leitend tätigen katholischen Beschäftigten einen schwerwiegenden Verstoß gegen seine Loyalitätsobliegenheiten darstellt und eine Kündigung rechtfertigt. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass das deutsche Grundgesetz Kirchen und alle ihnen zugeordneten Einrichtungen ein Selbstbestimmungsrecht verleiht, das es ihnen erlaubt, ihre Angelegenheiten innerhalb bestimmter Grenzen selbständig zu verwalten.
Vor dem Arbeits-, Landesarbeits- und Bundesarbeitsgericht war der Kläger zunächst auch erfolgreich. Zwar könne die Wiederheirat eines in einem katholischen Krankenhaus angestellten Chefarztes eine Kündigung im Grundsatz rechtfertigen. Allerdings seien, so die Gerichte, die staatlichen Gerichte dennoch zur eigenen Prüfung verpflichtet, ob nach kirchlichem Verständnis ein schwerer Loyalitätsverstoß vorliege. Auch sei eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers unumgänglich. Hiernach kamen die Arbeitsgerichte zu dem Ergebnis, dass die Kündigung unwirksam ist (BAG, Urt. v. 8.9.2011, Az. 2 AZR 543/10).
Der kirchliche Arbeitgeber gab sich damit nicht zufrieden und legte Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Das Bundesverfassungsgericht hob das Urteil des BAG auf und verwies die Sache an das höchste Arbeitsgericht zurück mit der Auffassung, dass den Gerichten eine nur eingeschränkte Überprüfung der Loyalitätsverpflichtung gegenüber kirchlichen Arbeitgebern zustehe. Das BAG legte die Angelegenheit daraufhin dem EuGH vor und wollte wissen, ob die Kirche selbst verbindlich bestimmen könne, welche Anforderungen an loyales und aufrichtiges Verhalten von im Kirchendienst beschäftigten Arbeitnehmern zu richten seien (Beschl. v. 28.7.2016, Az. 2 AZR 746/14 (A)).
Der EuGH stellte klar, dass Beschlüsse der Kirche oder anderer Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht und die sich auf loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne dieses Ethos stützen, Gegenstand einer gerichtlichen Kontrolle sein können müssen. Bei dieser Kontrolle müsse das nationale Gericht sicherstellen, dass die Religion oder die Weltanschauung im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstelle. Zwar sei diese Überprüfung vom nationalen Gericht, d.h. dem BAG vorzunehmen, der EuGH zweifelte aber an, dass dies im vorliegenden Fall gegeben sei. Es sei zweifelhaft, ob die Akzeptanz des von der katholischen Ehe befürworteten Eheverständnisses für die ärztliche Tätigkeit des Chefarztes wirklich eine wesentliche berufliche Anforderung darstelle. Für die von diesem ausgeübte ärztliche Tätigkeit erscheine es nicht als notwendig, das katholische Eheverständnis zu befolgen. Dies werde dadurch erhärtet, dass ähnliche Stellen Beschäftigten anvertraut worden seien, die nicht katholisch seien und folglich nicht derselben Anforderung, sich loyal und aufrichtig im Sinne des Ethos der Klinik zu verhalten, unterworfen gewesen seien.
Das BAG hat sich also erneut mit den aufgeworfenen Fragen des EuGH zu befassen und womöglich dann auch im Anschluss daran erneut das Bundesverfassungsgericht. Der Ausgang bleibt also spannend, wobei die Luxemburger Richter die Punkte, auf die es ankommt, erfreulicherweise recht deutlich zum Ausdruck gebracht haben.