BAG, 18.08. 2020 - 1 ABR 43/18 (A) Eingeordnet unter Betriebsverfassungsrecht, Sonstiges.
Die Umwandlung deutscher Aktiengesellschaften in Europäischen Gesellschaften (kurz SE) ist weit verbreitet. Ein zentrales Motiv ist häufig, dass die Unternehmen durch den Wechsel der Rechtsform die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat reduzieren möchten.
Diesen Gestaltungsmöglichkeiten werden allerdings durch das SE-Beteiligungsgesetz Grenzen gesetzt. Bestehende Arbeitnehmerrechte sollen geschützt werden. Diese Grenzen müssen Arbeitnehmerseite und Arbeitgeberseite beachten, wenn sie im Zuge der Umwandlung in eine SE entsprechend ihres gesetzlichen Auftrags über eine Vereinbarung zur Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE verhandeln. Der genaue Verlauf der Grenzen der Gestaltungsmöglichkeiten ist umstritten.
Das Bundesarbeitsgericht hat sich nun in einem wichtigen Grundsatzverfahren für einen starken Schutz der Mitbestimmung einschließlich der Pflicht zur Erhaltung des alleinigen gewerkschaftlichen Vorschlagsrechts bei Umwandlung einer paritätisch mitbestimmten Gesellschaft ausgesprochen [BAG, 18.08. 2020 - 1 ABR 43/18 (A)]. Dieses Verfahren hatten die Gewerkschaften IG Metall und ver.di, vertreten durch Manske und Partner, nach der Umwandlung von SAP in eine SE eingeleitet.
Der Aufsichtsrat von SAP war und ist paritätisch besetzt. Dabei wurden auf der Arbeitnehmerseite ein oder zwei Mitglieder gesondert auf Vorschlag der Gewerkschaften gewählt. Die bei SAP geschlossene “Beteiligungsvereinbarung” sieht aber vor, dass der zuletzt 18-köpfige Aufsichtsrat auf zwölf Sitze verkleinert werden kann. Das Vorschlagsrecht der Gewerkschaften für ein oder zwei Sitze würde dann entfallen. Die Gewerkschaften haben geltend gemacht, dass diese Regelung unwirksam ist, da sie gegen den gesetzlichen Bestandsschutz verstößt.
Das BAG hat die Rechtsauffassung der Gewerkschaften bestätigt und damit anders entschieden, als es die Vorinstanzen noch getan hatten. Das BAG weist darauf hin, dass bei der Gründung einer SE durch Umwandlung einer paritätisch mitbestimmten Aktiengesellschaft § 21 Abs. 6 SEBG vorgibt, dass in der Beteiligungsvereinbarung zur Mitbestimmung ein gesondertes Auswahlverfahren für von Gewerkschaften vorgeschlagene Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer zu gewährleisten ist. Dem EuGH wurde die Frage vorgelegt, ob dieses Verständnis des nationalen Rechts mit der SE-Richtlinie vereinbar ist. Für deren Auslegung ist der EuGH zuständig.
Der Beschluss des BAG ist sehr zu begrüßen. Er ist ein wichtiger Beitrag zur Verhinderung einer Erosion der Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten. Es steht zu hoffen, dass der EuGH die Vorlage des BAG positiv beantwortet und damit dem Anspruch der SE-Richtlinie, bestehende Arbeitnehmerrechte zu erhalten, gerecht wird.