Arbeitsgericht Hagen, Urteil v. 06.03.2018 - 5 Ca 1902/17 Eingeordnet unter Kündigung.
Sowohl nach der bis zum 31.12.2017 gültigen Fassung des § 95 Abs. 2 SGB IX als auch nach der aktuellen Regelung des § 178 Abs. 2 SGB IX ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen Einzelnen oder die schwerbehinderte Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören; er hat ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen.
Seit dem 30.12.2016 gilt aber als zusätzliche Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung Schwerbehinderter und gleichgestellter Menschen auch die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung. So heißt es hier ausdrücklich in § 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX, dass die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne die Beteiligung nach Satz 1 ausspricht, unwirksam ist.
In dem vom Arbeitsgericht Hagen entschiedenen Fall hatte der Arbeitgeber gegenüber einer schwerbehinderten Arbeitnehmerin aus betriebsbedingten Gründen eine ordentliche Änderungskündigung ausgesprochen. Der Arbeitgeber hatte am 27.06.2017 beim zuständigen Integrationsamt die Zustimmung zur beabsichtigten Änderungskündigung beantragt, zwei Tage später, also mit Schreiben vom 29.06.2017, informierte er den Betriebsrat zu der beabsichtigten Änderungskündigung und mit Schreiben vom selben Tag die Schwerbehindertenvertretung. Das Arbeitsgericht Hagen hat die Kündigung an der ordnungsgemäßen Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung scheitern lassen. Das Arbeitsgericht führt insoweit aus, dass die Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung nach dem SGB IX „unverzüglich und umfassend“ zu erfolgen hat, also ohne schuldhaftes Zögern und sobald der Arbeitgeber seinen Kündigungswillen gebildet hat. Die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung muss deshalb nach überzeugender Ansicht des Arbeitsgerichts Hagen am Beginn der vom Arbeitgeber zu treffenden Maßnahmen stehen. Sinn und Zweck der unverzüglichen Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ist es nämlich, dass diese auf die Willensbildung des Arbeitgebers noch einwirken kann. In dem Moment, wo ein Arbeitgeber aber die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung einholt, ist seine Willensbildung bereits abgeschlossen und sein Willen nach außen erkennbar zutage getreten. In diesem Fall kann also die Schwerbehindertenvertretung nicht mehr an der Willensbildung mitwirken, sondern höchstens noch darauf hinwirken, dass der Arbeitgeber seine bereits getroffene Entscheidung revidiert. Dies entspricht jedoch nicht dem Sinn und Zweck der unverzüglichen und umfassenden Unterrichtungspflicht nach dem SGB IX.
Folgerichtig führt das Arbeitsgericht Hagen dann auch aus, dass die nachträgliche Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung, die im konkreten Fall ja zwei Tage nach der Antragstellung auf Zustimmung beim Integrationsamt erfolgte, nichts mehr ändern kann, weil die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nicht nachgeholt werden kann.
Das Arbeitsgericht Hagen arbeitet anhand seiner Entscheidung und am Wortlaut des Gesetzestextes sehr gut heraus, dass es einen Unterschied zwischen der unverzüglichen und umfassenden Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung gibt und der Betriebsratsanhörung, bei der das Gesetz lediglich eine „Anhörung vor jeder Kündigung“ fordert. Weiterhin führte das Arbeitsgericht Hagen sehr überzeugend aus, dass die oben beschriebenen Grundsätze nicht nur für die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen gelten, sondern auch für eine Änderungskündigung, da sich diese ja aus zwei Willenserklärungen zusammensetzt, nämlich einer Kündigung und dem Angebot eines geänderten Vertragsangebotes. Auch wenn der schwerbehinderte Mensch die angebotenen Vertragsänderungen unter Vorbehalt annimmt und eine Änderungsschutzklage erhebt, verzichtet er damit nicht auf die Berufung der Rechtsunwirksamkeit der Änderungskündigung aus sonstigen Gründen.